Autor Thema: Welche Pflanzen dürfen Meerschweinchen auf keinen Fall fressen?  (Gelesen 22289 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Murx Pickwick

  • Forenkobold
  • Aktives Mitglied
  • ****
  • Beiträge: 927
Futtermehle aller Art, egal ob Päppelbrei, Pellets, Cobs, Extrudate oder was es sonst da noch so alles gibt, haben für den Meerschweinchendarm eine zu feine Struktur. Das verursacht mehrere Probleme:
1. Je feiner die Teilchen im Futterbrei, desto langsamer wird der Nahrungsbrei durch den Darm geschoben. Im Dünndarm werden Nährstoffe umso besser aufgenommen, je langsamer der Futterbrei durch den Darm geht (Leichtverdaulichkeit!), im Dickdarm dagegen wird das, was im Dünndarm an Nährstoffen nicht verwertet werden konnte, von Mikroorganismen gefuttert. Je langsamer der Nahrungsbrei durch den Dickdarm geschoben wird, desto mehr schwer verdauliche Teilchen werden von Spezialisten zerlegt - denen wiederum die schnellwachsenden Mikroorganismen, wie E. choli und Hefen, Nährstoffe regelrecht geklaut werden. Die schnellwachsenden Mikroorganismen vermehren sich dadurch schneller, es kommt zu einer Fehlbesiedlung durch die Hemmung der langsamwachsenden Spezialisten und den sich schnell vermehrenden Mikroorganismen. Je mehr die schnellwachsenden Mikroorganismen futtern, desto mehr Gase und Gifte setzen sie im Darm frei.
Der Blinddarm ist davon kaum betroffen, er hat eine sehr spezielle Darmwandoberfläche, welche das Ableiten von Gasen in den Körper begünstigt - er ist dafür ausgelegt, daß Nahrungsbrei oft tagelang im Blinddarm verbleibt, um auch noch das letzte Cellulosemolekül zu zerlegen. Der Dickdarm dagegen ist eigentlich nur für die Köttelbildung und die Entwässerung der Köttel zuständig (und es werden wohl auch noch ein paar Fettsäuren und ein paar Nährstoffe aufgenommen - das soll uns hier allerdings weniger interessieren), er ist dafür ausgelegt, daß der Futterbrei relativ schnell durchgeschoben und ausgeköttelt wird.
2. Durch die schnelle Vermehrung im Dickdarm werden auch organische Säuren vermehrt freigesetzt, welche den Dickdarminhalt ansäuern. Dieses schädigt auf Dauer die Darmzotten im Dickdarm.
3. Einige der freigesetzten Gifte können Entzündungen in der Dickdarmwand hervorrufen.

Ob und welche Schädigung einsetzt ist stark abhängig von der tatsächlichen Besiedlung des Dickdarmes und der Menge der täglich gefressenen Futtermehle, es gibt Meerschweinchen, die ihr Leben lang von Pellets gelebt haben und keine nachweisbaren Probleme mit ihrem Dickdarm haben. Andere Meerschweinchen wiederum werden sehr empfindlich im Darm, chronische Entzündungsherde bilden sich, im Dickdarm sind deutlich mehr Gase nachweisbar, wie gut fürs Meerschweinchen ist.

Nur in der Gruppe der darmempfindlichen Meerschweinchen kann die Fehlbesiedlung durch Mikroorganismen und die Entzündungsherde an der Darmwand dazu führen, daß Klee und Kohl zu gefährlichen Koliken bis hin zur tödlichen Trommelsucht führen kann.
Das ist der Grund, weshalb vorsichtshalber in neuerer Zeit Klee und Kohl nicht verfüttert wird, wenn Futtermehle (Pellets, Extrudate) verfüttert werden ... man kann halt nicht in den Darm schauen und nachgucken, wie es da wirklich aussieht.
Dennoch gibt es Meerschweinchen, die weder Matsche, noch Blähungen bekommen, wenn sie Kohl und Klee bekommen, trotzdem sie sonst von Pellets und Co leben. Streng genommen sind es sogar die überwältigende Mehrheit, die so robust reagieren.

Wir haben es nunmal bei den Meerschweinchen mit biologischen Systemen zu tun - und die reagieren alle sehr individuell, das sind keine Maschinen mit nur geringen Abweichungen zur gleichen Art.

Schweinchenmama

  • Aktives Mitglied
  • ****
  • Beiträge: 640
Danke Murx, für die wie immer sehr interessante und ausführliche Antwort!  :bravo:
Meine Schweinchen vertragen sonst eigentlich Blumenkohlblätter, Brokkoliblätter, Kohlrabiblätter und hin und wieder ein wenig Spitzkohl ganz gut und auch bei Klee im Wiesenmix gab es keine Probleme.

Mein Zahnschweinchen isst ja fast immer Kohlrabiblätter zwischen den pelletgemischten Breimahlzeiten und hat damit keine Probleme. Ob die hin und wieder auftretende Matsche und die seltenen Blähungen mit ihren kleebegeisterten Phasen zu tun hatten, weiß ich nicht, werde ich aber jetzt mal genau beobachten.
Danke dir dafür!  :fr: