Autor Thema: Die Nager-Narkose (im Wandel der Zeit)  (Gelesen 19096 mal)

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Kazaar

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Die Nager-Narkose (im Wandel der Zeit)
« am: 29. April 2015, 11:47 Uhr »
Ich bin letztens über einen interessanten Artikel gestoßen, der im März in der Zeitschrift "Klein & Smart" veröffentlicht wurde. Mich würde mal interessieren, mit welchen Narkosen eure TÄ arbeiten. Könnt ihr da frei auswählen? Überlasst ihr die Wahl dem TA?

Hier erst mal der Artikel in voller Länge:

Vor einigen Jahrzehnten war die Narkose für ein Nagetier noch vollkommen abwegig - viel zu teuer für ein Tier, das nur ein paar Mark kostete...

Ende des 20. Jahrhunderts hatte sich diese Einstellung zur Möglichkeit zwar durchaus geändert, aber die zur Verfügung stehenden Wirkstoffe waren nicht wirklich befriedigend: zwar war es möglich Nagetiere verhältnismäßig 'günstig' mittels Injektionsnarkose schlafen zu legen, aber die Verlustrate war einfach zu hoch. Das Hauptproblem stellte dabei die Auskühlung der Patienten bzw. die Dosierung der normalerweise für Hunde und Katzen konzipierten Präparate dar. So verstarben viele Patienten (teilweise bis zu 50%) nach einem geglückten chirurgischen Eingriff (meist Kastrationen) an einer narkosebedingten Untertemperatur. Damals wurden Tumor-OPs und ähnliche Eingriffe durch das hohe Narkoserisiko gar nicht erst in Erwägung gezogen und daher war die Lebenserwartung auch unter Umständen nicht annähernd so hoch wie heute.

Eine simple Kompensation des Wärmeverlustes wurde zwar vielfach versucht durchzuführen - leider ohne Erfolg. Egal ob Rotlichtlampen oder Wärmematten - die kleinen Tierchen kühlten von innen aus weil ihre Thermoregulation abschaltete.

Dann, anfangs des 21. Jahrhunderts 'versuchte' man es mit der Inhalationsnarkose - einer bei Hunden erfolgreichen Methode, bei der ein Narkosegas über eine Maske oder einen Schlauch (Tubus) in der Luftröhre dem Patienten zugeführt wurde.

Beim Hund ist es auch sehr gut zu steuern, zumal die Tiere auch meistens vorher per Injektion (intravenös oder intramuskulär) in Dämmerschlaf gelegt werden.

Die Nagetiere wurden entweder mittels Gesichtsmaske begast oder saßen komplett in einer begasten Kammer (meist komplett aus Plexiglas weil dicht und durchsichtig). Bei dieser Form der Narkose lag die Schwierigkeit in der Beurteilung des Bewusstseinzustands des Patienten - meist waren sie noch zu wach oder 'zu tief' (tödlicher Ausgang).

Erst sein einigen Jahren gibt es eine neue Form der Injektionsnarkose, die bisher die mit Abstand sicherste Form der Nagernarkose darstellt :

Die Voll-Antanonisierbare-Anästhesie (VAA)!
Dabei werden mehrere Wirkstoffe miteinander vermischt, die zur gewünschten Bewusstlosigkeit, Schmerzausschaltung und Muskelerschlaffung beim Nagetier führen. Dabei kommt es nicht zur Auskühlung und obendrein ist sie auch sehr genau zu dosieren (selbst bei Patienten mit weniger als 100 Gramm) - somit steht einem reibungslosen Eingriff nichts mehr im Wege.

Diese VAA ist durch ein, ebenfalls aus mehreren Wirkstoffen bestehendes, Antidot komplett aufzuheben (antagonisieren) - dadurch steht der Patient unter normalen Umständen bereits 5-10 Minuten nach Injektion wieder und beginnt zu mümmeln.
 
Dabei gilt es aber trotzdem zu beachten, dass der Verdauungstrakt von Kaninchen und Nagetieren kontinuierlich beschäftigt sein will und die Patienten i.d.R. nicht erbrechen. Daher sind diese Patienten, genau wie früher, vorm geplanten Eingriff niemals nüchtern zu halten.
 
Bei allen Eingriffen an der 'Unterseite' der Patienten, dazu zählen neben Gesäugetumor-OPs auch beispielsweise Kastrationen, sollte der Stall aus Sicherheitsgründen bis zu 10 Tage nach dem Eingriff mit Zeitungspapier oder Küchenrolle statt der üblichen Einstreu ausgelegt sein - das sieht zwar nicht schön aus, beugt aber Wundinfektionen durch Einstreu in Operationswunden vor.

Tierarzt Sebastian Goßmann-Jonigkeit (Autor dieser paar Zeilen)

 Anmerkung: ich habe diesen Artikel bereits vor über einem Jahr auf speziellen Wunsch verfasst - er wurde auch schon im März diesen Jahres in der 'Nager-Zeitschrift' unter http://www.kleinundsmart.de/ veröffentlicht. Daher bitte nicht wundern wenn der Ein oder Andere diesen Artikel schon kennen sollte...



Der TA schreibt auf Nachfrage einer Leserin auf FB ergänzend:

Zitat
Uns persönlich war die Inhalation einfach zu unsicher und schlecht zu steuern. Sie ist halt bloß kostengünstiger. Trotzdem nutzen wir seit über 5 Jahren die VAA (ohne bisher auch nur einen einzigen Nager oder Kaninchen dabei verloren zu haben!). Die Wahl steht jedem Kollegen frei. Man darf aber auch nicht vergessen, dass ein neues Narkosemanagement ein großer Schritt für jede Praxis darstellt. Risikofrei ist eine Sedation oder Narkose übrigens leider nie - man kann nur das Risiko eines Zwischenfalls minimieren! Aber gerade bei EC-Patienten hat sich die VAA ebenfalls sehr gut bewährt (selbst im hohen Alter).

Vio

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 1 am: 29. April 2015, 13:03 Uhr »
Interessant :-)
Also unsere TÄ bevorzugen Inhalations-/Gasnarkose, gerade weil sie gut zu steuern ist... auch schwierige Herzpatienten haben das soweit gut verkraftet (nur danach haben die Organe aufgegeben, aber das lag sicher nicht an der Narkose oder nicht alleine oder an der Art, da war ja noch mehr im Argen).
Gestern war z.B. Stress bei den Tierärzten, weil das kleine Söhnchen geweint hat und da habe ich dann den Schlauch über die Nase gehalten und auf die Atmung geachtet, damit nur ein TA benötigt wurde für die Zahnbehandlung. Man kann flott das Gas regulieren, sollte etwas sein. Ich finde es da schwieriger, wenn man erst einen Antagonisten spritzen muss, um das Tier wieder aus der Narkose raus zu bekommen... Vor der Inhalationsnarkose bekommen die Tiere bei unseren TÄ was gespritzt gegen das Speicheln.
*Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt.
Aber die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier.*

Liebe Grüße von Vio und der Schweinebande :mms:

Saubergschweinchen

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 2 am: 29. April 2015, 13:20 Uhr »
Ich stehe den VAA auch skeptisch gegenüber. Ich habe Anästesie ja auch als Fortbildungsschwerpunkt gewählt und in einer großen Praxis 8 Monate lang "nur" Narkosen gefahren. Dort waren wir teilweise den ganzen Tag im OP.
Nagernarkosen habe ich immer mit Inhalation gefahren und kann nicht bestätigen das diese schlecht steuerbar wären. Ganz im Gegenteil. Die Injektion kann man zwar aufheben aber es gibt ja auch Situationen in denen die Narkose zu tief ist und man das Tier nicht aufwecken kann, weil es zum Beispiel offen auf dem Tisch liegt. Hier kann man die Gaszufuhr runter regeln und die Narkose weniger tief aufrecht erhalten. Außerdem kann man Tiere im Atemstillstand sofort mit Sauerstoff beatmen.
Mit der Injektion lässt sich die Tiefe der Narkose nur in eine Richtung steuern, nämlcih indem man noch mehr Narkose gibt, abschwächen kann man sie nicht, nur aufheben. Das finde ich im Notfall problematsich.

Für mich wäre natürlcih sehr interessant von welchen Wirkstoffen genau die Rede ist. Ich bin ja nun auch schon zwei Jahre aus dem OP raus aber die antagonisierbaren Mittel die wir so hatten gingen beim Nager oft schief.
Auch muss man bedenken wie man die Injektion ins Tier bekommt. Beim Meerschweinchen natürlich kein Problem aber bei mehr oder weniger exotischen Kleinnagern ist eine Injektion auch nicht selten mit erheblichem Stress und einem hohen Risiko verbunden. Eine Horde männliche Stachelmäuse oder Zwergschläfer möchte ich keinen spritzen lassen. Sie in einer Narkosebox mit Gas zu legen ist bei weitem schonender.

In der Degupedia wurde der Artikel auch kürzlich ausgewertet.

Auch heute lasse ich meine Tiere nur mit Gas narkotisieren, egal für welchen Eingriff.

Kazaar

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 3 am: 29. April 2015, 21:33 Uhr »
Mein mittlerweile verstorbener Kastrat (ein Zahnschweinchen) habe ich mal zu einer TÄ gebracht, die auch mit Inhalationsnarkose arbeitet. Ich muss dazu sagen, dass hier im ländlichen Raum nicht jede TA-Praxis damit ausgestattet ist. Ich war dann bei der Behandlung mit dabei und es war eine einzige Katastrophe  :nein:. Die TA-Helferin presste ihm die Maske immer wieder aufs Gesicht, er streifte sie ab weil er ständig zappelte, ich hielt ihn dann mit fest, die TÄ wurde immer ungeduldiger und die komplette Zahnbehandlung war umsonst.

Ich bin dann Wochen später, nachdem er nicht richtig fressen konnte, zu meiner TÄ, mit der ich bei Zahngeschichten immer zufrieden war. Die hat ihm die Zähne gerichtet, allerdings mit der üblichen Injektionsnarkose. Von daher bin ich etwas skeptisch was die Inhalationsnarkose anbelangt. Aber das lag wohl auch an der Unfähigkeit der TÄ, bei der wir damals waren. Ich hatte darauf vertraut, dass diese Narkoseform schonender fürs Tier ist. Und wie Steffi schon sagt, im Notfall besser zu regulieren.

Saubergschweinchen

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 4 am: 30. April 2015, 07:09 Uhr »
Zitat
Ich war dann bei der Behandlung mit dabei und es war eine einzige Katastrophe  :nein:. Die TA-Helferin presste ihm die Maske immer wieder aufs Gesicht, er streifte sie ab weil er ständig zappelte, ich hielt ihn dann mit fest, die TÄ wurde immer ungeduldiger und die komplette Zahnbehandlung war umsonst.

Das ist ja absoluter Horror! Soviel Unfähigkeit hab ich noch nicht erlebt, man presst dem wachen Tier nicht unter Zwang die Maske ins Gesicht, das gernzt ja an Quälerei!
Der normale und gänige Ablauf einer reinen Inhalationsnarkose ist folgender:
- die Tiere bekommen vorher unterstützende Medis (Atropin gegen die Bronchosekretion, Infusion zur Kreislaufstabilisierung, ggf. Schmerzmittel)
- Dann kommen sie in eine (der Tiergröße angemessene) Narkosebox aus Plexiglas, dort wird ein Narkosegas/Sauerstoff-Gemisch hineingeleitet und die Box abgedunkelt. Binnen wenigen Minuten schlafen die Tiere sanft und ohne den Stress des Festhaltens ein.
- Erst dann begint die OP-Vorbereitung und die Steuerung der Narkose über de Maske.
- Bei Zahnsanierungen wird in der Regel keine Maske benutzt sondern nur das Ende des Narkoseschlauches über die Nase gehalten, da Meerschweinchen primär Nasenatmer sind ist das auch völlig unproblematisch.

EDIT: Irgendwo hatte Vio mal ein Bild eingestellt...ich find das nur gerade nicht :nein:

Kazaar

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 5 am: 30. April 2015, 17:50 Uhr »
Das ist ja absoluter Horror! Soviel Unfähigkeit hab ich noch nicht erlebt, man presst dem wachen Tier nicht unter Zwang die Maske ins Gesicht, das gernzt ja an Quälerei!

Das sagst du was Wahres. Ich war auch total geschockt. Alle haben die Narkose immer so gelobt und ich dachte, die TÄ weiß was sie tut. Aber das war mit Abstand die unfähigste TÄ, der ich je begegnet bin  :nein:. Leider wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, wie man sowas richtig macht, sonst hätte ich gleich bei der Behandlung was gesagt  :traurig:.

Im Wartezimmer einer anderen Praxis bin ich mit einem jungen Pärchen mit Welpen ins Gespräch gekommen. Die waren bei der selben Ärztin und haben berichtet, sie hätte den kleinen Hund im Nacken gepackt und auf den Tisch gesetzt (so wie ein Kaninchen). Seitdem wäre er traumatisiert  :grusel:. Die hat definitiv den Beruf verfehlt  :wall:.

Vio

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 6 am: 01. Mai 2015, 00:43 Uhr »
weiß nicht, ob es das bild war... so schauts aus :-)

vorher kommt pari bis zur mitte des körpers schon in die maske, eine art trichter. sie windet sich ein bisschen, riecht natürlich nicht gut und sie bekommt schlecht luft. aber das dauert nicht lange, dann wird sie ruhig. von draufpressen kann aber nicht die rede sein. sie liegt darin und man hält sie am bauch etwas fest, damit ihr oberkörper in der maske bleibt.
mittlerweile kennt sie das ganze und ist recht ruhig, gefallen tut es ihr trotzdem nicht ;) die behandlung vorgestern war sehr entspannt und ganz easy, routine für uns alle mittlerweile :-)
*Ein Tier zu retten, verändert nicht die Welt.
Aber die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier.*

Liebe Grüße von Vio und der Schweinebande :mms:

Saubergschweinchen

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 7 am: 01. Mai 2015, 07:20 Uhr »
Genau das Bild hab ich gemeint  :bravo:

Smoky

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 8 am: 01. Mai 2015, 10:44 Uhr »
Der TA bei dem ich wegen Kastra hinfahre, hat Plexiglaskästen je nach Größe der Tiere und durch einen Eingang gelangt das Narkosegas dann in die Kammer.
Da kann er auch gut beobachten, was das Tier dabei so macht und wann es sicher schläft.

Was hier so beschrieben wurde ist ja der Horror fürs Tier, so was von Stress... :grusel:
Gefühlsmäßig sieht das für mich wie heftigste Vergewaltigung aus...wenn die Tiere nach so was gesundheitliche Probleme bekommen, wundert mich das nicht wirklich.

Eine andere TÄ macht Zähne meist auch ohne Narkose, wenn die Spitzen nicht zu schwierig und/oder zu weit hinten sind.
Mein O'Malley damals hat das jedenfalls ein 3/4Jahr lang alle zwei Wochen super weggesteckt und hat auch prima geklappt.
Liebe Grüße
Tina

Böckchenliebhaberin

Saubergschweinchen

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 9 am: 01. Mai 2015, 10:54 Uhr »
Zitat
Eine andere TÄ macht Zähne meist auch ohne Narkose, wenn die Spitzen nicht zu schwierig und/oder zu weit hinten sind.
Mit rotierenden Schleifgeräten im Maul des wachen Tieres? Puh, das wäre mir ja wirklich zu heiss und vor allem auch zu stressig.

Kazaar

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Antwort: Die NAGER-NARKOSE (im Wandel der Zeit)
« Antwort 10 am: 01. Mai 2015, 14:37 Uhr »
Eine andere TÄ macht Zähne meist auch ohne Narkose, wenn die Spitzen nicht zu schwierig und/oder zu weit hinten sind.

Das macht meine auch. Am Anfang, als Sarotti nur die Schneidezähne gekürzt und geschliffen bekommen hat, nahm sie auch nur diesen Spreizer. Aber nach der Brückenbildung bei den Backenzähnen ging das nicht mehr  :traurig:. Wobei dieser Spreizer ja auch sehr unangenehm für die Tiere ist.

Danke für das Foto Vio. So entspannt ging das bei uns leider nicht zu  :wein:.