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Kastration im Konflikt zur Wahrung der körperlichen Unversehrtheit

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Saubergschweinchen:
Aus aktuellem Anlass drehen sich meine Gedanken um die ethischen Grundsätze im Zusammenhang mit der Kastration.
Der Auslöser ist der tragische Tod des kleinen "Easy Emotion" (man merkt wieder deutlich das die Namen kein Zufall sind). Easy hatte letzten Mittwoch seinen Frühkastrationstermin, er wurde wach - ich nahm ihn wach mit nach Hause und dort angekommen war er tot. Kreislaufkollaps auf dem Transport.
 
Ich bin der Frühkastration gegenüber schon länger nicht mehr grundlegend positiv  eingestellt. Er sollte auch vorerst der letzte sein da ich noch einen stabilen Partner für einen schwierigen Bock brauchte.
Die Frühkastration ist dafür zwar keine Garantie aber die beste Voraussetzung und meine Erfahrungen mit Narkose, OP und Heilung sind bisher durchweg super gewesen.
 
Seit diesem Vorfall drehen sich meine Gedanken sehr um das Thema und ich möchte nun hier eine Grundsatzfrage stellen:
 
Können wir wirklich über die körperliche Unversehrtheit eines uns anvertrauten Lebewesens hinweg eine Entscheidung zur Amputation wichtiger Organe treffen?
 
Dadurch dass bei uns  ja bald ein kleiner Rüde einziehen wird habe ich mich sehr viel mit dem Thema Kastration aus gesundheitlicher, verhaltensbiologischer und ethischer Sicht auseinander gesetzt und dadurch ergeben sich in mir allerlei Konflikte.
Beim Hund kommt eine Kastration ohne schwerwiegende medizinische Indikation absolut nicht in Frage. Warum mache ich für mich einen solchen Unterschied zwischen den Tierarten?
 
Die Vorteile der Kastration in der Meerschweinchenhaltung liegen auf der Hand, diese stelle ich auch nicht in Frage.
- Haltung von "artgerechten" Haremsgruppen
- Altersversicherung für Böcke
- Tierschutz durch die Verhinderung der unkontrollierten Vermehrung
- u. U. bessere Verträglichkeit männlicher Tiere untereinander
- Versicherung für Böcke in Bockgruppen die bei Zerbrechen der Gruppe oder bei Tod des Partners auch zügig mit Weibchen vergesellschaftet werden können
 
Aber was wissen wir über die Nachteile?
- Narkoserisiko
- Wundheilungsstörungen
 
...mehr nicht?
 
Ist das nicht ein bisschen wenig Information mit der wir uns hier zufriedenstellen um eine Amputation in die Wege zu leiten? Ich nenne es absichtlich mal Amputation denn nichts anderes ist es ja und das Wort Kastration ist mittlerweile so gebräuchlich das es sich in seiner Bedeutung sehr abgenutzt hat.
 
Ich möchte die Kastration von Meerschweinchen mit diesem Thread nicht völlig in Frage stellen, halte es aber für ein wichtiges Thema das wir in diesem Forum intensiv besprechend sollten wenn wir uns alternative Haltungs- und Behandlungsformen auf die Fahne schreiben.
 
Ethische Überlegungen
Von jeher werden Nutz- und später auch Haustiere aus ökonomischen Gründen kastriert. Sie sollen ruhige, gefügige Hausgenossen und Arbeitstiere sein. Sie sollen sich gut mästen lassen und ihr Fleisch soll gut schmecken. Blickt man also über den Tierschutz-Aspekt hinweg ist die Kastration ein Eingriff am Lebewesen um dem menschlichen Bequemlichkeitswunsch nachzukommen.
In Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit argumentieren viele Halter/Tierschützer auch damit dass die Kastration gut zu tolerieren ist wenn man die Tiere dadurch vor schweren Verletzungen durch innerartliche Kämpfe bewahren. Doch ganz so schwarz und weiß ist die Sache vlt. doch nicht?
Es erfordert viel Platz und Sachverstand eine Gruppe unkastrierter Böcke dauerhaft harmonisch halten zu können, selbst wenn alle Voraussetzungen stimmen erfordert diese Haltungsform auch Flexibilität des Halters der auch ohne Rücksicht auf eigene Wünsche in der Lage sein muss Entscheidungen zum wohl der Gruppendynamik zu fällen. Also im Zweifel auch Tiere abzugeben oder in anderen Gruppen unterzubringen die sich nicht optimal in die Gruppe einfügen.
Es ist also durchaus möglich, wenn auch aufwendiger intakte Tiere artgemäß zu halten ohne den Tierschutzgedanken hinten an zu stellen. In seinen Verhaltensstudien wies Norbert Sachser mehrfach darauf hin wie gut potente männliche Hausmeerschweinchen in Mischgruppen oder gemischtaltrigen Bockgruppen harmonieren.
Er verglich das Verhalten mit einer Wildform und kam zu dem Ergebnis das die Haltungsform während der Domestikation sich auf das Aggressionspotenzial und das Konfliktmanagement ausgewirkt hat. Hausmeerschweinchen sind sehr viel verträglicher untereinander als ihre wilden Vorfahren. Auch wenn wir heute wissen dass er die Hausmeerschweinchen mit der falschen Wildform verglich und es weniger Erkenntnisse zu Cavia Tschudii als "wahre" Wildform gibt.
Hausmeerschweinchen haben, gut sozialisiert, eine sehr hohe Toleranz gegenüber Nebenbuhlern. Sie brauchen dafür aber entsprechende Haltungsbedingungen und so kam man in der Heimtierhaltung aufgrund des sehr  begrenzten Platzangebotes auch schnell auf die Haremshaltung zurück. Auch empfehlen die meisten (ich eingeschlossen) die Haremshaltung als "sichere" und "anfängertaugliche" Gruppenzusammenstellung.
Aber wäre es nicht auch mal an der Zeit Überlegungen anzustellen wie man in Hinblick auf artgerechte Haltung und Versorgung auch die potenten Böcke als solche belassen halten könnte.
Viele Leute praktizieren das ganz selbstverständlich aber der Grundtenor in Foren und auf Informationsplattformen ist und bleibt die Kastration...ganz pauschal und unkritisch.
Ist das wirklich ein Zeichen für verantwortungsbewussten Umgang mit den Tieren?
 
 
Körperliche Folgen
Bei der Kastration werden die Hoden entfernt (Orchiektomie), damit entfallen die für Entwicklung und allgemeine körperliche Abläufe wichtigen Sexualhormone nahezu vollständig. Es wird oft argumentiert das andere Organe (Nebenniere) ebenfalls Sexualhormone produzieren und das damit eine Kastration gut zu tolerieren wäre. Wir sollten aber wissen wie komplex und störempfindlich die körperlichen Abläufe sind und daraus ergibt sich schon die Erkenntnis das kein Organ im Körper  für sich allein steht und der Verlust ohne weitreichende Folgen bleibt.
Wir bemerken einen evtl. ruhigeres, verträglicheres Verhalten und erfreuen uns an unseren Kastraten in der Haremsgruppe, welche auch mehr oder weniger Interesse an den Weibchen zeigen. Aber welche Auswirkungen haben die fehlenden Hormone noch?
Die Folgen der Kastration auf Säugetiere wurde bei vielen Tierarten wie auch dem Menschen eindringlich erforscht. Viele Erkenntnis die sich speziell mit Meerschweinchen befassen gibt es nicht viele, aber die Übertragbarkeit ist durchaus gegeben das das Hormonsystem aller Säugetiere ähnlich funktioniert.
Die meisten Untersuchungen erfolgten an Tieren im Wachstum, was ja auch in der Heimtierhaltung die gängige Praxis ist wenn auch nicht immer als "Frühkastration".
 
Tierartübergreifend ist das überdimensionale Längenwachstum der Unterarmknochen besonders hervorzuheben, dieses dürft bei den kurzen Beinen des Meerschweinchens kaum auffallen weshalb auch so viele Halter keinen eklatanten Unterschied zwischen ihren Früh- und Spätkastrierten Tieren feststellen können.
Die Veränderungen im Längenwachstum und die deutlich länger bestehende Unreife des Skelettes können aber langfristig zu Problemen im Bewegungsaparat  führen. Die Schließung der Epiphysenfugen ist sehr stark verzögert, was das Skelett anfällig für Fehlstellungen und frühzeitigen Verschleiß macht.
Außerdem finden sich bei allen erforschten Arten ähnliche Bilder vom Verlust von Muskelmasse, der Ausbildung femininer Gestalt, frühzeitiger Osteoporose durch den gestörten Kalziumstoffwechsel und der erworbenen Disposition für Schilddrüsenerkrankungen.
Die Hirnanhangdrüse zeigt sich vergrößert ebenso auch die Thymusdrüse welche auch in ihrer Involution verzögert wird. Es kommt zu einer Hypertrophie der Nebenniere, einer Verbreiterung der Nebennierenrinde und der Verkleinerung des Nierenmarkes. Durch den erniedrigten Grundumsatz kommt es nicht selten zu Übergewicht mit all seinen Folgeerkrankungen.

 
Weitere körperliche Kastrationsfolgen einzelner Tierarten:
 
Kaninchen
- durch die Veränderung des Kalziumstoffwechsels steigt die Gefahr von Osteoporose, Zahnerkrankungen und Blasensteinen
 
Ratte
- Prostata und Samenblase bleiben im Wachstum zurück (Samenblase nur 4mm und schaff anstatt 4cm und prall gefüllt, die Prostata ist makroskopisch garnicht auffindbar)
- Penis ist kurz und dünn, der Knorpel liegt an der Spitze frei, es ist keine Eichel angelegt, der Schwellkörper ist unterentwickelt
 
Hund
- das Risiko für bestimmte Krebsarten steigt eklatant an (Milztumore, Osteosarkome)
- Beschleunigung des Verlaufes von bösartigem Prostatakrebs
 
Schaf/Ziege:
- Unterentwicklung der Stirnfläche des Schädels
- kleineres Gehörn
 
Rind
- Ausbildung prominenter Zitzen
 
Pferd
- Verminderung des Hirngewichtes
- der Beckenknochen ähnelt dem einer Stute
 
Mensch, Typ 1
- überdimensionales Längenwachstum der Extremitäten (Verlust der natürlichen Körperproportion)
- fehlender Verschluss der Epiphysenfugen
- lange, schlacksige Gestalt mit schmalem Becken
 
Mensch, Typ 2
- weniger ausgeprägte Disproportion des Skelettes
- ausgeprägter Fettwuchs, Brustansatz und Bauchfett
- "kindlich-rundliche" Gestalt
 
Zu guter Letzt das Meerschweinchen, denn um das soll es hier ja gehen. Liest man in Foren quer bemerkt man immer mal wieder kritische Nachfragen bezüglich Kastration. Darauf antwortet die Expertise sehr gern damit das eine nachteilige Veränderung in der Entwicklung nicht nachgewiesen wäre. Dabei beziehen wir uns, ich nehme nicht aus, gern auf die Frühkastrationsstudie von Morgenegg der im Vergleich der Frühkastrate mit den potenten Geschwistertieren keine Entwicklungsverzögerung feststellen konnte. Soweit so richtig, aber ist das nun der allgemeingültige Beweis dass es keine negativen Folgen für das Tier haben wird?

Es gibt einen kurzen Abschnitt speziell über Meerschweinchen in einem Buch, welches ich hier unter anderem als Quelle herangezogen habe die sehr wohl körperliche Auswirkungen belegt:
"Über die Kastration am Meerschweinchen berichtet Pirsche und zwar wurden die Tiere im Alter von 45 Tagen der Operation unterworfen. Als Ergebnis dieser Versuche ließ sich feststellen, dass die kastrierten Tiere eine bedeutende Gewichtszunahme erfuhren. Acht Monate nach der Kastration wurden die Tiere getötet.  Die Autopsie ergab eine sehr deutliche Atrophie des Penis. Die durch Wägung festgestellte Fettzunahme beim kastrierten Tier war  bei der Autopsie nicht augenfällig. Die Extremitätenknochen der kastrierten Tiere sind größer und dicker als die der Kontrolltiere. Die Epiphysenfugen sind nicht verstrichen. Eine Vergrößerung der Hypophyse war bei den Kastraten nicht erhebbar."
Quelle: Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere, S. 26
 
 
Verhaltensbiologische Folgen
Bei Meerschweinchen wird bisher wenig über die negativen Auswirkungen auf die Psyche berichtet. Kastration macht "ruhiger" und "verträglicher", diese Argumente werden auch von Tierärzten immer wieder angebracht. Wir wissen aber durchaus das gerade die Verträglichkeit mit anderen Böcken vor allem eine Sache des Charakters und vor allem der Sozialisation ist.
Frühkastrate durchleben sehr viel weniger ausgeprägte Pubertätsphasen und so sinkt das Risiko das sie sich in einer Bockgruppe großartig profilieren. Sie nehmen die Rolle des Pseudoweibchens und damit eine rangniedere Position ein.
Für uns in der Heimtierhaltung und vor allem in der Zucht ist dieses Verhalten sehr zu begrüßen, die Einzelhaltung der Zuchtböcke bzw. die ständig wechselnden Partner gehören so der Vergangenheit an. Ein Zuchtbock bekommt mit einem ausgewählten Frühkastraten einen dauerhaften und stabilen Partner der auch bei den Verpaarungen anwesend sein kann.
Aber was bedeutet diese Stellung für den Frühkastrat?

Wir wissen welche psychischen Auswirkungen eine Dysbalance der Sexualhormone haben kann. Wir haben beim weiblichen  Meerschweinchen mit vielschichtigen hormonellen Problemen zu kämpfen. Und wissen daher wie wichtig ein intaktes Hormonsystem für die körperlichen Abläufe und damit für die Tiergesundheit ist.
Und dennoch amputieren wir den Tieren bereitwillig dafür wichtige Organe?

Über Hunde schreibt Gansloßer:
"Auf gelerntes aggressives Verhalten und damit auch noch Erfolg gehabtes hat die Kastration zur Problemlösung keinen Einfluss, da es sich hierbei um eine Lernschleife im Gehirn handelt.  Mehr Unsicherheit, weniger Souveränität. Verlust von Selbstbewusstsein. Anfälliger für Kontrollverlust-Stress (führt zu depressiver negativer Grundeinstellung und Unsicherheit). Dadurch Fazit: Angstaggressive Rüden zu kastrieren ist Kontraproduktiv."

"Frühkastrierten (vor der Pubertät) fehlt der für das Gehirn notwendige Hormonschub
und sind daher in der Regel leicht debil."
Quelle: http://www.glueckspudel.de/bilder/kastration.pdf

Außerdem bei Hund häufig beschrieben ist der Leidensdruck durch die Geschlechtsneutralität, die kastrierten Tiere werden werde von männlichen noch von weiblichen Artgenossen entsprechend wahrgenommen. Es kommt nicht selten zu Mobbing, auch bei Mongolischen Rennmäusen ist die Kastration aus diesem Grunde verpönt. Die Kastrate lassen sich oft nicht gut vergesellschaften bzw. leiden dann unter der Aufsässigkeit der Weibchen. Nicht selten werden sie von den Weibchen garnicht akzeptiert und vertrieben.

Ich habe ähnliche Beobachtungen beim Meerschweinchen mit bisher zwei Kastraten ähnliche Beobachtungen gemacht.
 

Rechtslage
Von kritischen Hundehaltern und auch Gansloßer wird immer wieder angebracht das die Amputation gesunder Organe ohnehin vom TS-Gesetz verboten wäre.
Ist das so? Was steht wirklich im Gesetzt?

(TierSchG, 2010), § 6: 
„(1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder  teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. Das Verbot gilt nicht,  wenn
1. der Eingriff im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation geboten ist oder bei jagdlich zu führenden Hunden für die vorgesehene Nutzung des Tieres unerläßlich ist und tierärztliche  Bedenken nicht entgegenstehen,
2. ein Fall des § 5 Abs. 3 Nr. 1, 1a oder 7 vorliegt, 
3. ein Fall des § 5 Abs. 3 Nr. 2 bis 6 vorliegt und der Eingriff im Einzelfall für die vorgesehene Nutzung des  Tieres zu dessen Schutz oder zum Schutz anderer Tiere unerläßlich ist, 
4. das vollständige oder teilweise Entnehmen von Organen oder Geweben zum Zwecke der Transplantation  oder des Anlegens von Kulturen oder der Untersuchung isolierter Organe, Gewebe oder Zellen erforderlich  ist, 
5. zur Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung oder - soweit tierärztliche Bedenken nicht  entgegenstehen - zur weiteren Nutzung oder Haltung des Tieres eine Unfruchtbarmachung vorgenommen  wird.“
Zitat aus TierSchG, 2010 

Für die Meerschweinchen würde der 5. Punkt also greifen denn wir sprechen über ein vermehrungsfreudiges Nagetier. Bei Hunden ist die Sache allerdings tatsächlich anders gelagert denn diese sind durch Erziehung und entsprechende Haltung sehr wohl auch ohne Kastration von der willkürlichen Vermehrung abzuhalten.
 

Alternativen?
Nun habe ich vieles in Frage gestellt...aber gibt es denn überhaupt umsetzbare Alternativen in der modernen Meerschweinchenhaltung?
Besonders die Verhinderung der Vermehrung sollte aus Tierschutzgründen vornan stehen. Ich als Züchter werde also weiterhin nur zeugungsunfähige Tiere an Liebhaber abgeben wollen.
Es gibt viele Züchter (auch in meinem Bekanntenkreis) die aus Angst vor den Kastrationsfolgen keine kastrierten Tiere abgeben und auch keine halten.
Sie arbeiten mit Bock- und Weibchengruppen. Das käme für mich nicht in Frage weil ich der tiefen Überzeugung bin das die Haremshaltung für Weibchen sehr viel gesünder ist.

Es wird also weiterhin Kastrate geben aber ich für meinen Teil werde mich bemühen die Tiere so spät wir möglich kastrieren zu lassen damit zumindest das Skelett ausreifen kann und die Organe sich normal entwickeln können.

Das Narkoserisiko kann man nicht umgehen wenn man weiterhin in die Zeugungsfähigkeit eingreifen möchte.
Sollten wir dies dann vlt. völlig überdenken um die Tiere dem Risiko überhaupt nicht auszusetzen denn auch eine Sterilisation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.

Ich werde mich in jedem Fall mit meiner Nagerspezialistin mal eingehend über die Möglichkeit der Sterilisation unterhalten. Der Eingriff ist ja deutlich kleiner und für einen künftigen Haremswächter würde ich mich durchaus für einen sterilisierten Bock interessieren.
Wir werden sehen wohin die Reise geht...aber ich könnte mir tatsächlich vorstellen meine Jungs irgendwann nicht mehr zu kastrieren sondern zu sterilisieren und ihnen damit einen intakten Hormonhaushalt zu erhalten.


Ich danke euch wenn ihr bis hierhin mit Lesen durchgehalten habt, das Thema ist nicht einfach und ich würde gern eure Meinungen wissen.
Wie können wir das Thema Kastration ganzheitlich und tiergerecht betrachten?

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Quellen:
"Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlechtscharaktere" von Julius Tandler
"Kastration und Verhalten beim Hund" von Gansloßer und Strodtbeck
http://kaninchen-wuerden-wiese-kaufen.de/kastration.htm

Meeriemama:
Ich antworte mal kurz und knapp.
Bei Kleintieren wie Meerschweinchen ist durch die Kastration der Böcke eine artgerechte Haltung in der Haremsgruppe möglich. Bockgruppen funktionieren sicher auch oft gut, aber reine Mädelsgruppen sollen oft zickig sein.
Bei Katzen finde ich kastrationen noch wichtiger, um das Elend der verwilderten Freigänger einzudämmen. Auch eine dauerrolllige Hauskatze leidet meiner Meinung nach.
Bei Hunden bin ich ganz klarer Kastrationsgegner, Kastration nur bei strenger medizinischer Indikation, da sie sehr oft mehr schadet als nutzt.
Bei Rüden wird sie ja oft auch als Ersatz für Erziehung angesehen, bei Hündinnen erspart man sich die lästigen Läufigkeiten. Aber das rechtfertigt eine Kastration in meinen Augen überhaupt nicht. Ich hatte einmal eine kastrierte Hündin, und habe es ihr Leben lang bereut.
Unser Rüde ist sterilisiert, weil er mit zwei intakten Hündinnen zusammenlebt und wir auf keine Fall Nachwuchs wollen.

Mein Beileid zu dem verstorbenen Böckchen. Man guckt oft einfach nicht rein und Du hast ihn ja nicht gedankenlos kastrieren lassen.

Saubergschweinchen:
Ich möchte wie gesagt absichtlich mal die Aufmerksamkeit auf die Schattenseiten lenken.

Deine Argumente sind völlig schlüssig und auch mein Ansatz, aber ganz so unkritsich?


--- Zitat ---Bei Kleintieren wie Meerschweinchen ist durch die Kastration der Böcke eine artgerechte Haltung in der Haremsgruppe möglich.
--- Ende Zitat ---

Wie artgerecht ist ein Harem unter einem kastrierten Bock? Ich mache immer häufiger die Erfahrung das die allerwenigsten der Kastrate auch wirklich aktiv ihre Rolle einnehmen und als "Herr im Haus" leben. Der überwiegende Teil der Kastrate ist reichlich passiv sodass auch dann wieder ein Weibchen die Führungsrolle mit aller hormoneller Überforderung einnimmt und nicht selten daraus erkrankt.
Auch depressive Verstimmung und Überforderung konnte ich in den letzten Monaten bei Kastraten beobachten die sich völlig anders verhielten als sie noch intakt waren.


--- Zitat ---Bockgruppen funktionieren sicher auch oft gut, aber reine Mädelsgruppen sollen oft zickig sein.
--- Ende Zitat ---

Mädelsgruppen sind nicht zickiger als Bockgruppen aber sie haben gesundheitliche Nachteile für die Weibchen die dann die Führungsposition einnehmen und maskulines Verhalten an den Tag legen. Sie geraten sehr schnell in hormonelle Konflikte und leiden an körperlichen Folgen.
Reine Weibchengruppen wären nun auch nicht mein Ansatz...aber vlt. ein Harem unter einem sterilisierten Bock.


--- Zitat ---Bei Katzen finde ich kastrationen noch wichtiger, um das Elend der verwilderten Freigänger einzudämmen.
--- Ende Zitat ---

Hast du den Text von Andreas Rühle gelesen den ich als Quelle angegeben habe? Dort wird auch dieses Problem angesprochen.

"In einer Dissertation von (Kalz, 2001) wurde der Einfluss der Kastration auf die Population verwilderter  Katzen in einem Berliner Stadtgebiet geprüft. Das Resümee dieser Untersuchung: die Kastration von Katern  hatte keinen Einfluss auf die Reproduktionsrate und -dichte der Katzen. Selbst ein Anteil von zwei Drittel  kastrierter, weiblicher Katzen beeinflusst die Reproduktionsrate und Populationsdichte der Tiere nicht.  Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Kritik an der Praxis des Tierschutzes der Wegnahme  ganzer Würfe von den Müttern, weil dies die Populationsdichte sogar erhöht. Die Katzen ziehen dann in der  Regel im späten Jahr einen weiteren Wurf groß. Zu den weggenommenen Katzen kommt dann also noch  ein weiterer Wurf hinzu, der die zu vermittelnden Tiere verdoppelt. Im Prinzip tragen Tierschützer somit zu  einer Erhöhung der Gesamtpopulation bei. Schließlich wurde noch auf die Probleme der frühzeitigen  Kastration von Tieren verwiesen, weil deren Wiedereingliederung in die frühere Gruppe durch das  Verharren auf einem juvenilen Stand problematisch sein kann."
Quelle: http://kaninchen-wuerden-wiese-kaufen.de/kastration.htm

Nicht falsch verstehen, meine Freigängerkatze ist auch kastriert und ich würde es auch wieder machen lassen aber eben nicht vor Beendigung des Wachstums. Auch wenn das Stubenarest bis dahin bedeutet.

Filissa:
Ein sehr interessantes Thema, zudem ich auch etwas sagen kann :).

Ich kann die Contra-Ansätze sehr gut nachvollziehen und finde ich die Option einer Sterilisation interessant - wusste gar nicht, dass das auch geht. Bin da aber auch gar nicht im Thema was Risiken etc angeht, deshalb kann ich da nicht viel zu sagen.

Ich bin ja noch Meerschweinchen-Neuling, aber als ich vor ein paar Wochen die Notschweinchen besucht habe, in der unser Kastrat saß, habe ich innerhalb von Minuten seine Bedeutung für die Gruppe deutlich besser verstanden, als vorher. Denn während alle Damen vor Schreck laut quiekten, marschierte er gurrend auf und ab und gab - zumindest so mein Eindruck - viel Halt. Bei uns ist es auch so. Sind die Ladies gestresst, ist er der Ruhepol, der Sicherheit vermittelt - zumindest sieht es für mich so aus, er ist sehr präsent.

Aber eigentlich kann ich beim Thema Hund und Pferd etwas beisteuern.

Ich habe damals von Anfang an gesagt, mein Pferd soll kastriert werden. Ich habe ihn als Hengst (1,5 jährig) bekommen und wollte ihn möglich lange Hengst lassen, damit er sich gescheit entwickeln kann. Irgendwann kam dann aber der Punkt, bei dem ein verletzungsloses Zusammenleben mit Artgenossen nicht mehr möglich war und er auch viel Stress dabei hatte, dauernd Stuten zu "suchen" und andere Hengste zu besteigen.
Nach der Kastration legte sich das schlagartig. Von heute auf morgen. Was eigentlich nichts mit Hormonen zu tun haben konnte, denn das würde wohl länger dauern. Also schiebe ich es auf die Lage der Hoden. Diese lagen nämlich IM Bauch. Selten, kommt so gut wie nie vor, sagte man mir. War bei meinem aber so. Und man ging aufgrund seiner abrupten Verhaltensänderung davon aus, dass nicht die Hormone an sich das Verhalten verursachten, sondern die Lage der Hoden. Dass die Hoden evtl irgendwo drückten, weil sie da ja nunmal nicht hingehörten, sondern eigentlich eben hinter den Penis, aber AUßEN. Was ich damit sagen will, dass ich den Zeitpunkt der Kastration von seinem Verhalten abhängig gemacht habe. Es war aber für mich eigentlich immer klar, dass sie sein muss, weil mir absolut wichtig war, dass er in einer Herde mit viel Platz leben darf. Und das ist leider bei (fast) allen Höfen nur möglich, wenn das Pferd kastriert ist. Hengste werden nicht genommen, oder leben ins Einzelhaft. Auf dem, auf dem mein Pferd aufwuchs, leben Hengste in einer Herde zusammen. Altersgemischt, ein Chef und es klappt. Nur halt bei Fällen wie meinem zB nicht, aber grundsätzlich ist es möglich. Ich denke, das ist vorallem auch eine Frage des Handlings des Tieres.

Bei dem Hund meiner Mutter war es ganz interessant. Keine Kastration zunächst, weil man keine Notwendigkeit sah. Lief auch alles prima, nur ist Barkley nicht gut mit anderen Hunden verträglich. Um es kurz zu machen - er wurde kastriert, was aber zu keinerlei Änderung führte, eil es eben nicht an den Hormonen liegt, sondern am Verhalten. Die Sozialisierung ist vielleicht nciht optimal gelaufen, ich weiß es nciht, aber die Kastration hat 0 geändert.

Es hat alles so seine Vor - und Nachteile und ich wollte mal ein wenig berichten, um dann jetzt interessiert weiter mitzulesen und gespannt andere Erfahrungen oder Meinungen zu lesen.
Bei mir sind es ja mehr Erfahrungen ;).

Meeriemama:
Sorry, den Text hatte ich tatsächlich nicht gelesen (schäm), ich habe zur Zeit einigen Stress, wenig Zeit  und lese darum oft nur quer... geht eigentlich gar nicht, weiß ich ja...
Das wusste ich aber tatsächlich auch noch nicht, und finde ich extrem interessant, aber auch besorgniserregend. Man hat also im Prinzip gar keine Möglichkeit, das uferlose Wachstum der Katzenpopulationen einzudämmen?
Ist es bei Straßenhunden ebenso?
Bei Haustieren ist Sterilisation meiner Meinung nach auch eine gute Alternative, stelle ich mir bei sehr kleinen Tieren aber eine ziemlich frickelige Arbeit vor. Als wir unseren Mopsrüden sterilieren lassen wollten, sind wir in der TK auch erst mal auf Unverständnis gestoßen. Das ist absolut unüblich...und wozu soll das überhaupt gut sein?
Am Ende haben sie es doch gemacht und für unseren Rüden war es die richtige Entscheidung, denn durch den Kastrations-Chip war er auch in regelrechte Depressionen verfallen.
Unsere weibliche Katze war kastriert, da Freigängerin und ich kann jetzt natürlich nicht sagen, wie sie vom Charakter her gewesen wäre, wäre sie intakt geblieben. Wir haben sie mit etwa 8 oder 9 Monaten kastrieren lassen, und sie war ein richtiges Biest.

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