Autor Thema: Muttersöhnchen und Mannweiber  (Gelesen 7798 mal)

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Kazaar

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Muttersöhnchen und Mannweiber
« am: 12. Mai 2014, 17:53 Uhr »
Dass jedes Tier seinen eigenen Charakter hat, ist uns Meeri-Haltern ja längst bekannt  ;). Nun haben Wissenschaftler einer neuesten Studie zufolge nicht nur Charaktermerkmale wie Neugier, Scheu oder Aggressivität erforscht, sondern wie sich die Persönlichkeit bei Tieren entwickelt.

Ich zitiere mal nur aus dem Bereich "Meerschweinchen", weil das für uns hier am Interessantesten ist:

Zitat
Klar ist, dass die Vererbung, die Lebensumstände, das Verhalten der Mutter und sogar deren Befinden vor der Geburt eine wichtige Rolle spielen. Wie stark im Tierreich der Nachwuchs bereits im Mutterleib beeinflusst wird, zeigt eine Untersuchung bei Meerschweinchen. Lebt die Mutter während der Trächtigkeit in einer instabilen Situation - indem sie z. B. manchmal mit ihr unbekannten Meeris zusammentrifft - entwickeln sich ihre Jungen auf eine bestimmte Weise. Die Töchter werden aggressive Mannweiber, die Männchen bleiben sehr lange kindliche Muttersöhnchen.
 

Die Forscher vermuten, dass der Nachwuchs so auf riskante Situationen reagiert. Die Weibchen sichern sich mit ihrer Aggressivität ihr Futter. Die Männchen signalisieren ihren Geschlechtsgenossen, dass sie keine Konkurrenz sind und deshalb nicht bekämpft werden müssen.

Eine Frage, mit denen sich die Wissenschaftler derzeit beschäftigen, lautet: Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Charakter und der Denk- und Lernfähigkeit? Hierzu heißt es:

Zitat
Nach ersten Ergebnissen sind mutige und neugierige Meeris gut darin, Probleme zu lösen. Sie lernen z. B. schnell, dass sich hinter dem Türchen mit einem bestimmten Symbol Futter verbirgt. Allerdings zeigen sich diese Tiere auch unflexibel. Wird das Symbol gewechselt, verstehen die mutigen Meeris das nicht. Da sind ihnen die schüchternen Artgenossen voraus: Sie lernen zwar langsamer, bleiben aber offen für Alternativen.

Wie sind eure Erfahrungen dazu?

Ich habe z. B. 3 Tiere von Züchtern. Eines kam als Baby zu mir, die anderen beiden im Alter von 1 - 2 Jahren. Das Baby war von Anfang an völlig entspannt und mit sich und seiner Umwelt im Reinen. Die Älteren, die laut Züchterangaben in einer Großgruppe aufgewachsen sind, waren nach der VG wochen- und sogar monatelang scheu, zurückhaltend, ja fast panisch. Trotz dem dass sie gut sozialisiert waren und die VG problemlos verlief (weil sie sich gleich unterordneten), blieben sie lange misstrauisch dem Menschen (also mir  ;)) gegenüber.

Die meisten meiner Tiere sind jedoch Nottiere, die bereits einen oder zwei Vorbesitzer hatten. Wenn sie ein "gutes" Leben hatten, also nach Haltungsaufgabe z. B., dann fügten sie sich problemlos in die Gruppe ein. Ausgesetzte Tiere oder Tiere aus schlechter Haltung zeigten ähnliche Verhaltensweisen wie die zwei älteren Meeris vom Züchter. Ich frage mich, womit hängt das zusammen  :frage:? Dass ein ausgesetztes Tier traumatisiert ist, ist für jeden nachvollziehbar. Aber ein Tier aus der Zucht hat doch bestimmt keine schlimmen Erfahrungen gemacht (hoffe ich jedenfalls  :roll:). Warum reagiert es so? Weil, wie oben in der Studie beschrieben, die Lebensumstände und/oder das Verhalten und das Befinden der Mutter VOR der Geburt ausschlaggebend waren?

Wie seht ihr das?

Saubergschweinchen

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Antwort: Muttersöhnchen und Mannweiber
« Antwort 1 am: 13. Mai 2014, 10:32 Uhr »
Also zuerst einmal fände ich es super wenn wir Quellen zu den Zitaten hätten. Ich ahne das es um die Studien von Norbert Sachser geht aber wenn man wissenschaftliche Abhandlungen diskutieren möchte sind Verlinkungen zu den Originaltexten immer sehr hilfreich.

Hier gibt es einen netten Film über Sachser und seine Forschung.

https://www.youtube.com/watch?v=JpYrvmefbvg

Darin werden viele Dinge klar belegt, wie z.B. das Bockverträglichkeit eine Frage der Sozialisation ist, es einen Unterschied macht ob ein Meerschweinchen "einen" Partner oder "den" Partner hat und eben auch das weibkliche Nachkommen bei viel Stress in der Trächtigkeit maskulinisieren.
Die Arbeiten von Sachser sollte jeder interessierte Halter kennen, denn das würde schon vielen Halbwahrheiten und Haltungsfehlern vorbeugen.
Auch Rüdiger Beer hat dazu eine interessante Studie veröffentlicht http://www.amazon.de/History-weiblicher-Hausmeerschweinchen-instabiler-sozialer/dp/3898110648 sehr lesenswert besonders für Züchter. Nach diesem Buch habe ich mich dazu entschieden nicht wie allgemein üblich zu verpaaren sondern ausschließlich Brunstverpaarungen zu setzen.


Zitat
Wie sind eure Erfahrungen dazu?


Meine Erfahrungen dazu stimmen weitestgehend mit den Studien überein, ich hatte vor Jahren eine Notsau die tragend ausgesetzt wurde, ins Tierheim kam, auf eine Pflegestelle kam und schlussendlich bei mir landete. Die Jungtiere die sie bekam waren zwei Weibchen welche sich sehr männlich aufführten. Eines der Tiere lebte danach bei einer Freundin und blieb zeitlebens auffällig und dominierte die Gruppe inkl. Kastrat stark.


Zitat
Ich habe z. B. 3 Tiere von Züchtern. Eines kam als Baby zu mir, die anderen beiden im Alter von 1 - 2 Jahren. Das Baby war von Anfang an völlig entspannt und mit sich und seiner Umwelt im Reinen. Die Älteren, die laut Züchterangaben in einer Großgruppe aufgewachsen sind, waren nach der VG wochen- und sogar monatelang scheu, zurückhaltend, ja fast panisch. Trotz dem dass sie gut sozialisiert waren und die VG problemlos verlief (weil sie sich gleich unterordneten), blieben sie lange misstrauisch dem Menschen (also mir  ;)) gegenüber.


Diesen Ansatz verstehe ich nicht so ganz, du beschreibst im Grunde völlig gesundes und natürliches Meerschweinchenverhalten. In Großgruppen beim Züchter aufzuwachsen heisst vielerorts das sie sehr frei leben durfen mit eben entsprechend wenig Kontakt zum Menschen. Davon kann man halten was man will, es hat aber nichts mit den Phänomenen zu tun die in den Studien beschrieben werden. Das scheue Verhalten liegt schlicht an unzureichender Prägung auf den Menschen und ist eigentlich etwas schönes weil es zeigt das unsere Hausmeerschweinchen noch in der Lage sind zu "verwildern".
Die ganze Zucht auf besonders "zahme" Tiere ist in meinen Augen Zucht auf besonders stumpfe Tiere. Ein Baby welches naiv und fröhlich jeder potenziellen Gefahr entgegen hopst emfinden wir als besonders niedlich...Fakt ist aber das so ein Tier sich unter natürlichen Bedingungen nicht durchsetzen könnte.
Natürlich möchte ich damit nicht sagen das es besser wäre nur mit scheuen bis panischen Tieren zu züchten, aber ein gesunder Mittelweg wäre sicher sinnvoller denn wie man Abstumpfung herauszüchten kann und welche sozialen Krüppel daraus resultieren sieht man bei einem Blick in die Rennmauszucht.

Mir persönlich sind Tiere sehr viel lieber die sich eben nicht allem fügen, die nicht starr vor Angst Krallen- und Fellpflege über sich ergehen lassen, denn diese Tiere wird man ewig nicht überzeugen können das man da nichts schlimmes macht.
Im Gegensatz dazu die wehrhaften, die auchmal versuchen zu flüchten oder sich winden um dem Ganzen zu entgehen. Diese Tiere sind "normal", sie haben sich noch nicht aufgegeben und versuchen aktiv ihre Situation zu verbessern, diese Tiere sind in der Regel auch irgendwann kooperativ weil sie eben nicht völlig stumpf sind. Es dauert zwar länger aber wenn man Vertauen geniesst dann ist das auch von Dauer.

Zitat
Aber ein Tier aus der Zucht hat doch bestimmt keine schlimmen Erfahrungen gemacht (hoffe ich jedenfalls  :roll:). Warum reagiert es so? Weil, wie oben in der Studie beschrieben, die Lebensumstände und/oder das Verhalten und das Befinden der Mutter VOR der Geburt ausschlaggebend waren?


Das sind einfach zwei verschiedene Paar Schuhe, um scheue/verwilderte Tiere geht es in der Studie ja nicht sondern um den Einfluss von Stresshormonen auf die Jungtiere. Was du beschreibst ist ja "normale" Scheue, diese würden (theoretisch) diese Jungtiere nicht prinzipiell zeigen sondern sie verhalten sich innerartlich besonders. Die Weibchen wie Böcke und die Böcke ungewöhnlich passiv...mit dem Verhalten zum Menschen hat das meiner Ansicht nach nichts zu tun.

Saubergschweinchen

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Antwort: Muttersöhnchen und Mannweiber
« Antwort 2 am: 20. Mai 2014, 15:35 Uhr »
Hey kazaar, ich mag wirklich nicht drängeln aber mich würde wirklich brennend der Name der Publikation zu diesem Thema injteressieren.

Ich lese ja alles was ich an Originalen zu fassen bekomme das ist so ultra spannend. Wenn ich die lange Liste mit Veröffentlichungen der Uni Münster zum Thema Meerschweinchen sehe bekomme ich fast nen Nervenzusammenbruch, denn nur einen Bruchteil davon findet man heute noch  :wein:

Würde mich wirklich über einen link zum Original freuen oder zumindest über eine kurze Info wo du die Infos her hast.


Kazaar

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Antwort: Muttersöhnchen und Mannweiber
« Antwort 3 am: 20. Mai 2014, 16:10 Uhr »
Steffi, das ist eine Zusammenfassung von einem Artikel, den ich in der Zeitung gelesen habe. Es gibt keinen Link dazu (sonst hätte ich gar nicht erst so viel geschrieben  ;) ). Ich schau mal nach, ob es dazu noch weitere Quellenangaben gibt (habe den Artikel ausgeschnitten). Im Moment bin ich noch im Büro, kann also erst später nachschauen.

Saubergschweinchen

  • Gast
Antwort: Muttersöhnchen und Mannweiber
« Antwort 4 am: 20. Mai 2014, 16:55 Uhr »
Echt?!

In welcher zeitung stehen denn solche Artikel? Aber danke schonmal, wäre lieb wenn du nachschaust, sonst reichen mir auch Autor und Zeitung  ;-)

Kazaar

  • Gast
Antwort: Muttersöhnchen und Mannweiber
« Antwort 5 am: 20. Mai 2014, 20:05 Uhr »
Das stand in unserer Tageszeitung  :g:. Da gibt es 14tägig eine Seite "Tiere".

Also, die Studie ist von
* Prof. Norbert Sachser, Uni Münster (Verhaltensbiologe) und
* Anja Günther, Uni Bielefeld (Verhaltensforscherin)

Ein Buchtipp ist noch mit dabei:

http://www.amazon.de/Das-Gef%C3%BChlsleben-Tiere-Marc-Bekoff/dp/3936188424