Autor Thema: Gras ist nicht gleich Gras - die Weidelgras-Thematik  (Gelesen 12111 mal)

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Vio

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Gras ist nicht gleich Gras - die Weidelgras-Thematik
« am: 12. April 2017, 12:01 Uhr »
Ich habe vor Kurzem auf meinr FB Seite (Schweinebande) einen Beitrag zum Weidelgras geschrieben. Ich selbst war mir leider der Thematik auch lange nicht bewusst und viele Halter, die auch Sammeln, wissen ebenfalls nichts darüber, deshalb wollte ich einen kurzen Info-Text schreiben.
Falls darin Fehler sind oder ich etwas falsch oder ungünstig bzw. irreführend dargestellt habe, sagt mir bitte Bescheid, damit ich das dann korrigieren kann :-)

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Gras ist nicht gleich Gras: die Weidelgras-Thematik

Mal ein paar Gedanken zu Weidelgräsern, deren Bestimmungsmerkmale hier auf dem mir zur Verfügung gestellten Bild zu sehen sind :)

Wer anfängt, Wiese zu sammeln, steht am Anfang vor einer Herausforderung: so viele Kräuter kennt er nicht, was ist das und dürfen die Tiere das und wenn ja, wie viel davon?!
Meistens sind die „neuen Sammler“ dann froh, dass immerhin die Süßgräser recht leicht zu erkennen und eigentlich ja alle ohne Bedenken zu verfüttern sind. Doch auch da gibt es Unterschiede!

Das Ganze ist ein sehr weitreichendes und komplexes Thema, aber ich wollte hier einmal nur kurz oberflächlich auf die Thematik eingehen, weil das Thema vielen noch völlig unbekannt ist.
Es gibt 10.000 verschiedene Süßgrasarten, dazu gehören auch die Weidelgräser. Diese finden sich auf vielen Pferde- und Kuhwiesen, oftmals sind sie nämlich „hoch gezüchtet“, enthalten also eher wenig schlecht schmeckende Substanzen und besonders viel Zucker, um Sportpferden, die leistungsstark sein sollen Energie zu stellen und um Kühe zu mästen. Oder können in „weiter gezüchteter Art“ auch als Rasen in Gärten vorkommen.

Für unsere Meerschweinchen ist so viel Zucker (Fruktane) nicht nötig, im Gegenteil, wenn sie dauerhaft nur diese Gräser bekommen ist das sogar deutlich ungesund.
Es kommt aber noch ein wichtiger Punkt hinzu, nämlich dass Gräser oft zusammen mit endosymbiontischen Pilzen, Endophyten, leben. Das dient sowohl den Gräsern als auch Pilzen und ist – allgemein im Reich der Natur – überhaupt nichts Außergewöhnliches.

Wird ein Gras gestresst, also z.B. angeknabbert, produziert es Zucker/Fruktane, in durch Zucht entsprechend veränderten Weidelgräsern entsteht dann ziemlich viel Zucker, in Wiesenlieschgras im Vergleich dazu noch recht wenig.
Endophyten ernähren sich vom Zucker im Gras und je mehr Zucker, umso mehr Gifte können sie produzieren (Alkaloide, die dem Schutz der Pflanze z.B. vor Fraßfeinden dienen), die wiederum dann unsere Meerschweinchen aufnehmen.
Da im Weidelgras also viel Zucker enthalten sein kann (nicht muss, aber kann) können folglich (auch je nach Endophyt, der sich da eingenistet hat) horrende Mengen an Alkaloiden entstehen. Meerschweinchen reagieren unterschiedlich auf Alkaloide, die einen verpacken sie erst mal noch gut, die anderen bekommen gleich Probleme mit der Verdauung etc.

Das „Endophyte Service Laboratory“ in den USA listet daher Weidelgras zusammen mit Jakobskreuzkraut und Rohrschwingel (auch eine Süßgrasart) als die drei giftigsten Weidegiftpflanzen auf (in "Fate and metabolism of plant toxins in livestock"; Jennifer M. Duringer, PhD OSU 2007).

Aus diesen Gründen versuchen wir, Weidelgräser so gut es geht zu meiden, denn wir können deren Inhaltsstoffe und Symbionten nicht einschätzen.

!!! Nun soll aber keiner Angst vorm Grassammeln bekommen, denn Gras ist grundlegend wichtig und gesund für Meerschweinchen !!!
Es macht sicher auch nichts, wenn beim Sammeln mal ein Büschel Weidelgras in den Korb gerät oder man das Büschelchen eben mitnehmen mag, weil es so saftig aussieht oder es nichts anderes gab.
Auch hier gilt eben: die Dosis macht das Gift.

Aber wenn Meerschweinchen ständig hauptsächlich Weidelgräser bekommen, die ggf. eben gar durch Zucht verändert wurden und mit „ungesunden“ Symbionten versehen sind, kann das krank machen.
Und deshalb schadet es sicher nicht, ein wenig aufmerksam zu sein, ob und wie viel Weidelgras man sammelt :-)

Wir sammeln bevorzugt da, wo es viele Wildgrasarten und viele Wildkräuter gibt, so können wir den Tieren auch einfach viel Auswahl bieten und hoffen auf eine geringe „Zuchtgrasrate“.

Weidelgras erkennt man an: der glänzenden Blattunterseite (oberen Bilder), an den weißen Öhrchen (Bild unten links), an der gerieften Blattoberseite (Bild unten rechts).

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Auch im Heu sind natürlich oft Weidelgräser, daher sollte man auch bei der Auswahl des Heus darauf achten, aus welchen Grasarten es sich zusammen setzt. Einfach beim Bauern nachfragen :)
Oft sieht man hier bei uns Wiesen, die nur aus Weidelgras bestehen oder aus Weidelgras mit Klee, das sind „Heu-mach-Wiesen“. Da pflücken wir aber eh nicht, denn diese sind dann in der Regel auch gespritzt und es wäre dann wohl auch Diebstahl ;) Und eben sowieso nicht gesund für die Meerschweinchen (gilt auch für andere Gras-Fresser...).
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Für Interessierte:
Mir wurde für einen etwas tieferen Einstieg in die Thematik dieses Buch empfohlen: https://www.amazon.de/Giftige-Gr%C3%A4ser-auf-Pferdeweiden-Tiergesundheit/dp/3894321121 (habe es aber bisher noch nicht gelesen).
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Aber die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier.*

Liebe Grüße von Vio und der Schweinebande :mms:

nicole111

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Antwort: Gras ist nicht gleich Gras - die Weidelgras-Thematik
« Antwort 1 am: 15. April 2017, 10:37 Uhr »
Danke für diesen Hinweis!

Ich kenne die Problematik mit dem Gras (über das auch Sportpferdebesitzer sich gar nicht freuen, Fruktan steht/ stand im Verdacht, an Hufrehe beteiligt zu sein...da ist alle paar Jahre eine andere Theorie unterwegs...), aber mit der Beschreibung: stark gänzende Rückseite kam ich nie klar, weil: wo ist denn bitte hinten und vorne bei einem Grashalm...  :roll:

Jetzt ist es identisfiziert...ich hab das als "Metallgras" für mich benamst, und mich freudig auf die Büschel gestürzt, weil sie irgendwie nach mehr Rohfaser aussehen....  :wall:

Und kürzlich nach Durchfall-Erholung ausgerechnet das verfüttert - und sofort Matsche gehabt, die dann (leider nur erstmal, andere Geschichte...) nach Graswechsel wieder verschwand. Ich lass ab sofort die Finger einfach von allem, was glänzt und breit ist.

Piggilotta

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Antwort: Gras ist nicht gleich Gras - die Weidelgras-Thematik
« Antwort 2 am: 15. April 2017, 12:10 Uhr »
Hab nen link gefunden über die Veränderung an Klee, wenn er mit verpilztem Weidelgras zusammensteht.
Bei Schafen und Pferden führt dies u.U. zu Unfruchtbarkeit, woraus ich schliesse, dass es für Nins und Meerlies auch nicht mehr so der Bringer ist......
Botanikus: Klee

Vio

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Antwort: Gras ist nicht gleich Gras - die Weidelgras-Thematik
« Antwort 3 am: 15. April 2017, 20:32 Uhr »
Krass Piggilotta, danke... ich kenne solchen Klee mit schwarzen Flecken in Weidelgrasfeldern...

Ich wusste es auch lange nicht, Nicole, woher auch, sagt einem ja niemand... also mit Ausnahme, dass man solche Infos dann irgendwann halt im Internet von wem in irgendeinem Forum gesagt bekommt :D

Slaframin, eine giftige Substanz aus dem Endophyten Rhizoctonia leguminicola, der Roten Klee befallen hat, soll laut einer Studie durchaus verschiedene negative Auswirkungen auf Meerschweinchen haben können (natürlich da auch je nach Konzentration):
"Toxic hay caused extreme salivation, piloerection, lacrimation, respiratory distress, and increased frequency of defecation when fed to guinea pigs, and purified extracts of toxic hay and pure slaframine elicited these same responses when injected intraperitoneally into guinea pigs."
Quelle: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC244156/pdf/aem00193-0149.pdf
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Liebe Grüße von Vio und der Schweinebande :mms:

Katharina

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Antwort: Gras ist nicht gleich Gras - die Weidelgras-Thematik
« Antwort 4 am: 18. April 2017, 11:10 Uhr »
Hallo, miteinander! :winke:

Danke für die höchst aufschlußreichen Informationen in diesem Thema! :-) Endlich weiß ich, was Weidelgräser sind. Hab mich nie zu fragen getraut, :peinlich: weil alle immer so selbstverständlich davon schrieben.

Muß ich bei meinem Heubauern mal nachfragen, aber ich glaube nicht, dass sie dort Weidelgras haben. Sie füttern ihre eigenen Schafe damit und die gehören sozusagen zur Familie.

Meine Pflückwiesen sind wohl gemischt....muß mir das mal genauer anschauen. Jetzt verstehe ich die Vorlieben meiner Meerschweinchen wieder etwas besser.

Klee mögen meine Schweinchen übrigens gar nicht gerne. Der bleibt auf der Wiese im Garten wohl immer ziemlich unberührt, auch im Gehege wird er eher liegengelassen.
Liebe Grüße
Katharina :ms2:

Vio

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